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Klaus war alt. Und hatte einen Vollbart. Einen Bauch hatte er nicht. Aber ganz viel Liebe in sich. Für jeden ein bisschen. Er lächelte, begrüßte jeden Kolumnisten, sprach uns alle mit Vornamen an.
Er war einer von uns und doch irgendwie anders. Wir wussten nicht, wo er herkam. Er war einfach immer da und gab uns ein Gefühl der Beständigkeit. Bis er eines Tages verschwand.
Ich bin mir nicht mal sicher, ob es gleich auffiel. Vermutlich nicht. Vermutlich hatte man nur dieses Gefühl, es würde etwas fehlen. Erst nach einer Weile fragte jemand: „Wo ist eigentlich Klaus?“
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Er litt an der Franzosenkrankheit. Behauptete er. Ich hatte keine Ahnung, was es bedeutetе, und stellte mir groß gewachsene, dunkelhaarige Franzosen mit schmalen Lippenbärtchen vor. Sie waren allesamt Matrosen und trugen blau-weiß gestreifte Unterhemden. Keiner von ihnen sah Klaus auch nur im Entferntesten ähnlich.
Hatten Matrosen vielleicht schlechte Zähne, wie Piraten? Als Klaus mal lauthals lachte, schaute ich vorsichtig in seinen Mund. Das könnte es sein. Eine Zahnkrankheit, die wegen der schlechten Verpflegung auf den Schiffen die französischen Matrosen heimsuchte. Aber warum nur die Franzosen?
Oder war es vielleicht doch etwas Anderes, und die schlechten Zähne hatten nichts mit Franzosen zu tun? Vielleicht war es eine Vergiftung, die man sich zuzog, wenn man die Schenkel von falschen Fröschen aß? Ich war ratlos. Und ich war nicht der Einzige. Niemand von den Erwachsenen, die ich fragte, konnte mir erklären, was das für eine Krankheit war. Sie plapperten etwas Unsinniges und wechselten schnell das Thema.
Über die Franzosen wusste ich nur noch, dass sie viele Baguettes und Croissants essen. Ob sich das auf die Gesundheit auswirken kann, wusste ich nicht. Hörte aber vorsichtshalber auf, Weißbrot zu essen. Croissants hatte ich damals ehe nie zu sehen gekriegt.
Abgesehen von seiner mysteriösen Krankheit war Klaus sehr offen und lustig. Er erzählte mir schräge Geschichten über Kolumnisten und ich wusste nie, was davon wahr ist, und was frei erfunden. Und er liebte die Sonne. Immer, wenn es möglich war, setzte er sich draußen hin und ließ sich sein Gesicht bestrahlen.
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Bunte Eier kullerten den Berg herunten, legten lange bunte Spuren im grünen Gras. Hinter ihnen her liefen bunte Kinder herunter. Die kleinsten fielen hin und kullerten dann auch weiter, den Eiern hinterher. Dieses bunte Treiben und Kullern hatte etwas Magisches, Anziehendes. Jeder, der es sah, lächelte unwillkürlich, auch wenn an den Eiern an sich nichts Lustiges war. An Kindern schon. Sie waren meist freudelastig und lächelten alle zwei Minuten. Irgendwann zwischen Kindheit und Pubertät geht uns diese Fähigkeit flöten, unentwegt zu lächeln und alle naselang Freude zu empfinden, ohne triftigen Grund. Zusammen mit der Fähigkeit, Dinge und Menschen zu sehen, die sich direkt vor der eigenen Nase befinden.
Und irgendetwas haben bunte Eier und Freude gemeinsam. Die Freude der Wiedergeburt, das bunte Treiben der Natur, kaum aus dem Winterschlaf erwacht, spießt alles aus dem Boden und strahlt in den schönsten Farben, als gäbe es kein Morgen. Sogar die Sonne kam kurz heraus, um sich das Fest anzusehen. Eigentlich wollte sie nur mit einem Auge reinschauen, konnte dann aber nicht weggucken bei der ganzen Fröhlichkeit und dem Gekreische der mit Schokolade aufgeputschten Kinder.
Zum Abend hin taten dann allen die Bäuche weh. Vom Lachen, von der Schokolade, von den Eiern. Niemand kullerte mehr und verspürte auch keine Freude. Sie wollten getragen werden, wurden stattdessen an den Armen hinterhergezogen und ins Auto verfrachtet.
Nur manch gut getarntes und vergessenes Ei blieb ganz still im grünen Gras liegen. Und Klaus. Er lag da mit ausgebreiteten Armen, beobachtete, wie sich der Himmel allmählich rosa färbte, und lächelte.
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Wer Klaus tatsächlich ist, weiß ich immer noch nicht. Jedes Mal, wenn ich an ihn denken muss, ploppt eine neue Klaus-Geschichte in meinem Kopf auf.
In deinem auch?
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